Europa braucht uns!
Editorial Caritas concret 1/2019
Bischof Dr. Stephan AckermannBistum Trier
Liebe Leserinnen und Leser, der Friede in Europa ist in den mehr als 70 Jahren ohne Kriege für uns selbstverständlich, ja im wahrsten Sinne des Wortes alltäglich geworden. In unserer Großregion passieren viele von uns jeden Tag die offenen Grenzen, sei es zum Arbeiten in Luxemburg oder zum Einkaufen in Frankreich. Diese vielen Vorzüge und Privilegien verdanken wir dem "Friedensprojekt Europa". Leider scheint das Bewusstsein, dass Friede nicht selbstverständlich ist, zu schwinden. Der Zusammenhalt innerhalb der Europäischen Union ist bedroht - und damit der soziale Friede in Europa. Populistische Kräfte vom rechten Rand stärken die Europa-Skepsis und den Nationalismus. Der Brexit ist ein Beispiel dafür, ebenso das Erstarken rechtspopulistischer Regierungen wie in Italien. Die europäische Wertebasis wird zunehmend in Frage gestellt: Vor allem die für Europa beschämende Debatte um die humane Aufnahme von Flüchtlingen polarisiert die Menschen.
Soziale Ungleichheiten sind oft der Nährboden für solche Entwicklungen. Die Sorgen der Menschen in wirtschaftlich schwachen EU-Ländern müssen wir ernst nehmen und schrittweise zu einer Angleichung der Lebensverhältnisse kommen. Es gilt an der gemeinsamen Vision eines sozialen Europa weiterzuarbeiten.
Vor diesem Hintergrund wird die Europawahl am 26. Mai zu einer Wegmarke im europäischen Prozess. Wir haben es selbst in der Hand: Überlassen wir die Zukunft den Populisten oder treten wir für die Orientierung an Werten wie Solidarität, Humanität und Menschenwürde ein?
Als Christen sind wir von der Botschaft Jesu her aufgefordert, Flagge zu zeigen und einzutreten gegen Fremdenfeindlichkeit, Ausgrenzung, Hetze, Angstmacherei und die Spaltung der Völker Europas. Nur ein demokratisch gestärktes Europa kann gute Lösungen für wirtschaftliche und gesellschaftliche Probleme entwickeln. Europa braucht uns!
Bischof Dr. Stephan Ackermann