Wohlfahrtsverbände als Anwälte für Arme und Benachteiligte
Die vorliegende Buchveröffentlichung der Dissertationsschrift von Martina Messan kommt zum richtigen Zeitpunkt. Man schaue beispielsweise nach Österreich, dort muss die Caritas das erleben, was man neudeutsch einen "shitstorm" nennt. Weil sich die Vertreter dieses Wohlfahrtsverbandes kritisch gegenüber der Regierung zu Wort gemeldet und die Kürzungen der Sozialhilfe und deren negativen Auswirkungen auf die betroffenen Menschen beklagt haben. Also ein klassisches Beispiel für die advokatorische Anwaltsfunktion, die sich die Wohlfahrtsverbände auf die Fahnen geschrieben haben. Und zum Umgang mit Flüchtlingen und Asyl in Österreich hat die Caritas auch was gesagt - und die Retourkutsche der amtierenden Bundesregierung kam sofort: Die seien doch Teil der "Asylindustrie". Die Botschaft war klar: Der Caritas geht es nur um ihre "Pfründe", die man ihnen übrigens jetzt wegnehmen wolle.
Und seien wir ehrlich - wer kennt diese Argumentationsfigur nicht auch bei uns in Deutschland? Da wird dann über die "Sozialindustrie" polemisiert. Und dass die angebliche Anwaltsfunktion lediglich instrumentalisiert wird, um die Unternehmensfunktion der Verbände zu stabilisieren. Messan liefert mit ihrem Buch eine fundierte und hilfreiche Aufarbeitung der bisherigen Beiträge zur anwaltschaftlichen Funktion der Wohlfahrtsverbände und sie wirft exemplarisch einen empirischen Blick auf einen Bereich der Sozialpolitik, der in der "Hierarchie der Armut" sicher nicht oben positioniert ist, auf die Langzeitarbeitslosen und das Hartz IV-System. Sie analysiert, wie sich die Wohlfahrtsverbände im Kontext der Spar-Politik der Bundesregierung verhalten haben und wie sich das (nicht) einbettet in den (angeblich) "aktivierenden Sozialstaat". Messan gelingt es, aus unterschiedlichen Blickwinkeln (der Sozialwirtschaft, der sozialen Arbeit sowie den Sozialwissenschaften) die Anwaltsfunktionalität der Verbände zu beleuchten, ihre tatsächlichen Manifestationen, aber auch die bedenklichen Leerstellen herauszuarbeiten. Dem Buch ist gerade bei den Wohlfahrtsverbänden eine weite Verbreitung zu wünschen.
Autor: Prof. Dr. Stefan Sell
Quelle: neue caritas 3/2019, Hrsg. vom DCV