„Ich weiß um die helfende und heilende Kraft im Kreuzbund“
Wer suchtkrank ist und den Weg zum Kreuzbund gefunden hat, weiß um die Bedeutung des Gesprächs. Er hat erfahren, dass das Gespräch ein Schlüssel ist, sich aus der Gefangenschaft von Sucht zu befreien, sich aus dem Dunkel von Abhängigkeit, Hilflosigkeit und Isolation an Licht freizukämpfen.
"Nur ich allein kann mir helfen - aber ich kann es nicht allein. Die Gruppe hilft mir, in der Gruppe lerne ich, dass ich mich auf dem Weg zur Genesung verändern muss. Wir im Kreuzbund bezeichnen die Hilfe zur Selbsthilfe als Weggefährtenschaft." Jutta Reinwald ist seit 26 Jahren trockene Alkoholikerin. Der Kreuzbund gehört zu ihrem Leben wie ihr Mann und ihre drei Kinder. "Das Leben im Kreuzbund ist vielfältig und bunt. Ich möchte es nicht mehr missen."
Jutta Reinwald spricht mit einem Mitglied der Info-Gruppe des Kreuzbunds. Das Gespräch sei ein Schlüssel, sich aus der Gefangenschaft von Sucht zu befreien, sagt sie.Sandra Blass-Naisar
Ein Leben ohne ihre beiden Gruppen ist undenkbar
Was wohl auch umgekehrt für den Kreuzbund Trier gilt, die katholische Selbsthilfe- und Helfergemeinschaft für Suchtkranke und Angehörige im Diözesanverband Trier. Reinwald engagiert sich seit 26 Jahren mit viel Herzblut für den Regionalverband, der 210 Mitglieder zählt. Ein Leben ohne ihre beiden Gruppen - die Info- und die Frauengruppe - ist für sie undenkbar.
Viele Jahre war sie stellvertretende Regionalvorsitzende und Gruppenleiterin, heute ist sie Diözesan-Frauenbeauftragte und sitzt seit über 13 Jahren im Caritas-Rat. Ihre Stimme wird gehört, weil sie weiß, wovon sie spricht, weil sie authentisch ist, Alkoholsucht erlebt hat. Zehn Jahre lang, bis ihr Mann die Reißleine zog. Ich lasse Dich nicht allein, habe er damals gesagt, ich gehe den Weg mit Dir, aber Du musst Dir helfen lassen.
Das Eingeständnis, allein nicht weiterzukommen, sei der erste Schritt. Jutta Reinwald hatte Glück. Dank der liebevollen Zuwendung ihrer Familie und dem starken Auffangnetz im Kreuzbund hat sie den Weg aus ihrer Alkoholsucht geschafft und ist heute stolz, seit 26 Jahren trocken zu sein. "Alkohol ist im Alltag irgendwie immer überall, aber es macht mir heute nichts mehr aus, wenn die Familie am Tisch Wein trinkt."
Das war nicht immer so. "Ich habe gerne getrunken, mir bevorzugt solche Freunde gesucht, die mittrinken", erzählt sie und nimmt kein Blatt vor den Mund, denn beim Kreuzbund in der Gruppe spricht man wie einem der Schnabel gewachsen ist, weil man sich angenommen und verstanden fühlt. Alle im Kreis haben bittere Erfahrungen hinter sich, sind Weggefährten, die nicht nur erzählen, sondern vor allem auch zuhören können.
Schleichend nahm der Alkohol Besitz von ihr
Sie sei Spiegel-Trinkerin gewesen, sagt die gelernte Buchhändlerin. Heimtückisch und schleichend nahm der Alkohol immer mehr Besitz von ihr. "Wenn ich meinen Pegel hatte, dann ging es mir gut." Ein Grund, warum das Umfeld zunächst nicht mitbekommt, wie weit einer in die Sucht abgerutscht ist. "Einmal morgens hat meine Tochter mich gefragt, warum meine Hände so zittern. Dann musste ich schnell heimlich einen Schluck aus der Flasche nehmen und alles war wieder gut. Auf den ersten Blick für die anderen."
Gut war nämlich gar nichts mehr. Das ständige Verstecken von Flaschen, das Leugnen, die Schuld- und Schamgefühle, die Realitätsferne, die soziale Isolation und der Kontrollverlust hatten Reinwald in eine Sackgasse getrieben, aus der es keinen Ausweg mehr gab. Die stattliche Frau war zuletzt auf 45 Kilogramm abgemagert. Nach einer drei Wochen langen Entgiftung und dramatisch erlebtem Delirium - "das wünsche ich meinem schlimmsten Feind nicht" - musste Reinwald alles in ihrem Leben wieder lernen. Auch das Gehen.
Suchtauslöser: Druck, Langeweile und Einsamkeit
Die Ärzte halfen bei der körperlichen Genesung, der Kreuzbund bei der seelischen. "Ich war ein sehr schüchterner Mensch und mit Alkohol habe ich mich immer stärker gefühlt, konnte frei sprechen und bin souverän aufgetreten", sagt sie. Für viele Frauen sei mangelndes Selbstbewusstsein, gesellschaftlicher und beruflicher Druck, Langeweile und Einsamkeit ein Auslöser für die Sucht.
Durch die Gespräche in der Gruppe lernen die Betroffenen, mit ihren Schwächen umzugehen, weil sie sich in der Gruppe sicher und geborgen fühlen. "Die Gruppengespräche sind ein gegenseitiges Geben und Nehmen. Jeder nimmt sich aus dem Gespräch, was er benötigt. Wichtig ist, dass sich jeder am Gespräch beteiligt, dass sich jeder aussprechen kann und Gefühle erlebt, die jahrelang verschüttet waren."
Wie in allen Gruppierungen der Gesellschaft gibt es auch beim Kreuzbund einige Regeln zu beachten:
- Die Kreuzbundgruppe ist eine offene Gruppe, offen für jeden, der Hilfe sucht, gleich ob Betroffener, Partner oder Angehöriger.
- Die Gruppenmitglieder sitzen in einem Kreis, möglichst ohne trennende Tische.
- Es wird nicht geraucht und getrunken.
- Jedes Mitglied hat Rechte und Pflichten im Sinne der Weggefährtenschaft.
- Alles, was in der Gruppe gesprochen wird, bleibt in der Gruppe.
- Jeder spricht nur in der Ich-Form und nur über seine Person und Gefühle.
- Niemand spricht über abwesende Gruppenmitglieder.
- Jedes Gruppenmitglied entscheidet für sich, wann es redet oder schweigt.
- Jeder ist für sich selbst verantwortlich, ist eine eigene Persönlichkeit und muss von den anderen so angenommen werden.
100 Jahre Caritasverband im Bistum Trier und 100 Jahre Kreuzbund im Caritasverband - Grund genug, Reinwald nach einem Geburtstagswunsch zu fragen: "Ich wünsche mir von Herzen, dass wir bekannter werden. Ich weiß um die helfende und heilende Kraft im Kreuzbund, um die vielen Begegnungen und Kontakte, um die Weggefährten, die gemeinsamen Treffen, Wanderungen und Feiern - das alles tut gut. Ich möchte das Leben im Kreuzbund nicht mehr missen."