Therapeuten auf vier Pfoten
Emil und Apollo sind ausgebildete Therapiebegleithunde und leisten heute ihren Dienst in der Therapeutischen Schülerhilfe der Freiwilligen Ganztagsschule in Dillingen, einer Einrichtung der Caritas.
Gut gelaunt nach dem Training: Annette Berrahma (links), Karina, Emil, Luca, Apollo, Anthony, Zühre-Naz und Jutta Birk. Foto: Ingrid Fusenig
Doch wo zu Beginn noch lautes Stimmengewirr zu hören war, kehrt langsam Ruhe ein. Die Schülerinnen und Schüler haben schnell gemerkt, dass sie mit wenigen Worten und den richtigen Handzeichen und Körpersignalen bei ihren vierbeinigen Freunden viel mehr erreichen können. Vor allem auch dann, wenn sie leiser werden. Und plötzlich - wie von Zauberhand - lässt sich Emil durch den aufgebauten Parcours lenken und springt sogar durch den großen Reifen. Und in der anderen Ecke tanzt Apollo mit den Kindern Twist oder stellt sich auf die Hinterbeine.
Was so spielerisch leicht aussieht, ist Ergebnis stetigen, intensiven Trainings. Und besonderer Eignung. Ganz gleich, ob ein Hund nun Therapiebegleithund werden soll oder die Ausbildung zum Schul-, Besuchs- und Assistenzhund absolviert, er muss "unverzichtbare Eigenschaften" mitbringen. Auf dem "Steckbrief" muss stehen: Menschenbezogenheit; offenes, freundliches Wesen; Aggressionslosigkeit; hohe Stresstoleranz; Umweltsicherheit.
Nicht jeder Hund ist geeignet
"Bei einem Eignungstest werden diese Merkmale geprüft", erzählt Jutta Birk. Sie hat in Saarlouis die Hundeschule "Schnauzentreff", leitet die Therapiehundeausbildung Saarland und ist Ausbilderin für tiergestützte Therapie und Pädagogik. Nur wer diesen Eignungstest mit Bravour bestehe, dürfe mit der Ausbildung beginnen. Die Messlatte ist deshalb so hoch, weil die Hunde später mit den unmöglichsten Situationen klarkommen müssen. Wenn etwa ein Kind Probleme mit der Feinmotorik hat, den Hund packt, ihn nicht mehr loslassen will, ihm vielleicht sogar wehtut: Das Tier darf selbst in solchen Extremsituationen nicht die Fassung verlieren und muss ruhig bleiben.
Jutta Birk unterstützt mit ihrem Flat-Coated-Retriever Apollo nur hin und wieder die Therapeutische Schülerhilfe Dillingen. Sie hat den Cocker-Spaniel Emil, den Hund von Annette Berrahma, ausgebildet. Und der gehört fest zum Team in Dillingen. "Alle sagen ‚Mitarbeiter Emil‘ zu ihm", erzählt Annette Berrahma. Sie ist Diplom-Pädagogin des Caritasverbandes Saar-Hochwald e.V., arbeitet in der Dillinger Schule und hatte viel gelesen und gehört über die Chancen und Erfolge tiergestützter Pädagogik gerade in der Arbeit mit verhaltensauffälligen Kindern. Doch zunächst musste sie viel Überzeugungsarbeit leisten. "Oh Gott, nee" war die erste Reaktion des Arbeitgebers. Die Liste der Bedenken war lang, auch was die Hygienebestimmungen betrifft. Doch Berrahma hatte gute Argumente, bekam grünes Licht und meisterte die Ausbildung.
Für einen Therapiebegleithund in spe und seine Hundeführerin oder seinen Hundeführer bedeutet das: acht Monate lang trainieren. Für die Menschen steht zunächst Theorie auf dem Stundenplan: rechtliche Grundlagen, Hygiene in der Tiergestützten Therapie, korrekter Umgang mit Schülerinnen und Schülern. Da kommt einiges zusammen. Der Hundeführer lernt auch die Krankheitsbilder kennen, bei denen der Einsatz des Hundes in Frage kommt: etwa Autismus, Depression, Demenz, Hyperaktivität, Aufmerksamkeitsdefizite. Die Bandbreite ist groß. Erst dann wird geübt, damit Hund und Halter zu einem guten Team zusammenwachsen. Ein guter Grundgehorsam des Tieres ist ebenso wichtig wie das gemeinsame Spiel oder Übungen am künftigen Einsatzgerät wie zum Beispiel einem Rollstuhl. Von Bedeutung sind auch die ersten "Außendienst"-Einsätze: Betreut und beaufsichtigt von der Ausbildungsleitung zeigen Hund und Halter in Kindertagesstätten, Schulen, Seniorenheimen oder Behinderteneinrichtungen, was sie gelernt haben oder auch, ob es noch irgendwo hakt.
Emil als Ruhewächter während der Hausaufgabenzeit
Cocker-Spaniel Emil jedenfalls hat längst nicht nur alle Herzen im Sturm erobert und alle Zweifler verstummen lassen. Nein, der zweijährige Rüde leistet wirklich effektive Hilfe. Zum Beispiel, wenn in den Freiwilligen Ganztagsschulen Hausaufgaben gemacht werden. "Die Kinder haben gelernt, dass Hunde viel geräuschempfindlicher sind als Menschen. Deshalb verhalten sie sich ruhiger. Oder schaffen Ordnung. Der Hund soll ja keine Stifte fressen oder Hefte anknabbern, die achtlos auf den Boden geworfen wurden", sagt Annette Berrahma. Es gebe definitiv weniger Streitereien, wenn Emil im Raum ist. Die Kinder lernten auch, Verantwortung zu übernehmen. Emil braucht immer frisches Wasser oder muss auch mal Gassi gehen. Aufgaben, die zu erledigen sich die Kinder freiwillig melden. Für einige Kinder ist Emil ein guter Zuhörer, dem man gerne vorliest. Weil er nicht unterbricht und nicht meckert. Für andere ist er sogar ein Freund, ein Sozialpartner. Berrahma: "Wir haben hier 160 Kinder, alle kennen Emil." Die Warteliste für die Hunde-Arbeitsgemeinschaft sei lang.
Begeistert sind die Kinder auch, wenn - wie an diesem Tag - ein Parcours aufgebaut wird, die Hunde Spiel und Spaß garantieren. Oder wenn man sie streicheln darf. "Ich mag Hunde", sagt die siebenjährige Lara und schmiegt sich auf dem Teppich an Emil. Einfach herzerweichend, wie die Beiden miteinander kuscheln. Emil bringt nämlich nicht nur selbstverständlich alle Eigenschaften eines guten und wesensfesten Therapiehundes mit sich.
Er fühlt sich auch samtweich an und sieht mit seinen langen Cocker-Schlappohren niedlich aus. Und dann ist ja da auch noch dieser treue Hundeblick, der mehr sagt als tausend Worte …
Apollo ist schon acht Jahre alt; ein schwarzer, schöner, stattlicher Flat-Coated-Retriever mit glänzendem Fell. Der zehnjährige Luca hat zuhause eine Katze, doch der große, elegante Rüde hat es ihm auch angetan. Er findet es toll, wenn Apollo auf sein Kommando hin mit der Pfote einen Gegenstand berührt. Der neunjährige Anthony und die siebenjährige Karina sind zunächst etwas zurückhaltend. Aber wenn Apollo auf eine bestimmte Handbewegung hin Laut gibt, dann sind sie aus dem Häuschen. "Cool", finden sie das. Die Antwort: "Wuff!" Die neunjährige Zühre-Naz ist "eine gute Schülerin", wie sie stolz erzählt. Der Lohn: Sie darf aufs Gymnasium. Doch da gibt es leider keinen Emil. "Ich werde ihn vermissen. Aber vielleicht darf ich ihn mal hier besuchen."
Miteinander spielen und toben, das ist übrigens für Apollo und Emil während der Arbeit tabu. Auch in dem Punkt verhalten sie sich höchst professionell und vorbildlich. Da zählen nur die Kinder.
Chancen tiergestützter Pädagogik
Für Jutta Birk war diese Stunde einmal mehr der beste Beweis, "dass Mensch und Tier einfach zusammengehören". Deutlich habe man sehen können, wie schnell die Kinder gelernt haben, auf eine bessere Körperhaltung zu achten. "Dieses Rumhampeln hat nachgelassen. Die Kinder waren nach der Einheit viel ausgeglichener." Auf ihrer Internetseite zur Therapiehundeausbildung beschreibt sie das so: "Zwischen Mensch und Hund besteht eine ursprüngliche, evolutionäre Verbundenheit auf tiefer Ebene. Kein anderes Tier war in die Domestikation durch den Menschen so intensiv involviert und bindet sich so fest an uns Menschen wie der Hund. Er ist fester Bestandteil unserer Kultur geworden. Ein Hund wertet nicht, er ist offen und vorurteilsfrei gegenüber allen Menschen, egal ob alt oder jung, egal ob krank, behindert oder gesund. Die positive gesundheitliche Wirkung von Hunden auf Menschen ist inzwischen wissenschaftlich durch zahlreiche Studien belegt und unumstritten."
Und wie geht es den Therapiehunden nach dem Einsatz, wenn sie ihre Arbeitskleidung - bunte Schals - nicht mehr tragen? "Ja, für die Hunde ist das schon anstrengend", erklären die Expertinnen. Nach getaner Arbeit seien sie rechtschaffen müde und brauchten Ruhe. Dabei hat jedes Tier seine ganz individuelle Art, wieder aufzutanken: Apollo etwa ist schmusig und fordert sich viele Streicheleinheiten ein. Die er selbstverständlich bekommt, samt Leckerchen. Auch Emil kuschelt noch ein wenig mit Annette Berrahma. Dann rollt er sich unterm Tisch in Schlafposition und schnarcht leise vor sich hin. Das wohl verdiente Nickerchen gönnt man ihm gerne! Schließlich hat auch er tierisch gut gearbeitet.