Das Vorbereitungs- und Referentinnenteam der zweitägigen Diözesantagung des SkF zum Thema weiblicher Wohnungs- und Obdachlosigkeit: Beate Barg (Geistliche Begleiterin), Astrid Groß (SkF Saarland), Kathleen Schade (SkF Trier), Erika Wiegand (SkF Cochem), Regina Bies (SkF Koblenz), Melanie Sachtleben (SKF Diözesanverein), Franziska Larrá (SkF Diözesanvorstand), Andrea Ehses (DiCV Trier), Verena Buhl (OCV Trier), Anette Lauf (SkF Koblenz)Foto: DiCV Trier / Kristina Kattler
Rund 607.000 Menschen waren laut einer Schätzung der Bundesarbeitsgemeinschaft Wohnungslosenhilfe 2022 in Deutschland wohnungslos, etwa 50.000 Menschen lebten auf der Straße. Besonders auffällig, der Anteil an Frauen bildete dabei etwa ein Drittel. Ein trauriger Rekord, denn damit steigt auch der Anteil betroffener Kinder an, die wohnungslos sind.
Wodurch wird Wohnungslosigkeit bei Frauen begünstig, welche Handlungspotentiale hätten Staat und Gesellschaft und vor allem wie sollte man mit Betroffenen umgehen, waren nur drei von vielen Fragen mit denen sich rund 60 Haupt- und Ehrenamtliche zwei tagelang auf der Diözesantagung des SkF beschäftigten.
Anders als bei Männern, bei denen oft Sucht der wichtigste Risikofaktor darstellt, spielen bei Frauen Gewalterfahrungen und psychische Erkrankungen eine entscheidende Rolle, betont Birte Steinlechner, Referentin für Gefährdetenhilfe, Häusliche Gewalt, Wohnungslosenhilfe im SkF Landesverband Bayern in ihrem Grundsatzreferat. Aber auch das Rausfallen aus bestehenden Systemen etwa der Jugendhilfe, anderen Arten der Unterbringung wie im Rahmen der Flüchtlingshilfe oder auch der Ausstieg aus familiären Konstrukten spielen eine entscheidende Rolle. Nicht immer sind Frauen alleine betroffen, auch die Zahl der betroffenen Familien steigt. "Längst ist Wohnungslosigkeit in der Mitte unserer Gesellschaft angekommen", so Steinlechner, stellen doch gerade Kündigungen beispielsweise wegen Eigenbedarf Familien vor große Herausforderungen. Steinlechner ergänzt: "Die Gruppe an Menschen, die keinen Zugang zu bezahlbarem Wohnraum hat, wird größer werden." Selbst Doppelverdiener mit Kindern haben es auf dem Wohnungsmarkt zunehmend schwerer.
Wohnungslose Frauen bleiben trotz steigendem Anteil beinahe unsichtbar
Starke Schamgefühle, der Verlust von Würde - gleich zwei zentrale Gründe, warum obdach- und wohnungslose Frauen, aber auch Familien, nur selten im Alltag wahrgenommen werden. Wohnungslosigkeit wird versteckt, es wird Obdach bei Freunden oder in Zweckbeziehungen gesucht. Was zunächst wie eine Lösung klingt, birgt aber weitere Gefahren: Die Frauen haben dort keine Rechte, sie haben keinen eigenen Mietvertrag, die Frage der Gegenleistung stellt sich und Abhängigkeit entsteht. Tagsüber halten sie sich scheinbar normal an öffentlichen Orten wie Bibliotheken, Einkaufszentren oder Bahnhöfen auf- viele Betroffene wollen nicht auffallen und verhalten sich leise.
„Was würde ich mitnehmen, wenn ich von jetzt auf gleich auf der Straße leben müsste?“ war nur eine von vielen Fragen, denen sich im Rahmen der zweitätigen Tagung zum Thema weiblicher Obdach- und Wohnungslosigkeit gemeinschaftlich gestellt wurde. Foto: DiCV Trier / Kristina Kattler
Zugleich sind es deutlich häufiger Frauen, die sich bereits bei drohender Wohnungslosigkeit an Beratungseinrichtungen wenden, dort wo es solche gibt, denn gerade im ländlichen Raum ist die Versorgungslücke immens. Darum betont Steinlechner ihre Forderung, dass präventive Angebote flächendeckend und gut erreichbar sein müssen, denn Prävention bleibt günstiger als Folgemaßnahmen. Aber auch im Angebot der Wohnraumhilfe sieht sie Bedarf, denn dort sind die Angebote häufig auf alleinstehende Männer und nicht auf Frauen oder Familien zugeschnitten. Zudem stellt eine gemeinsame Unterbringung mit betroffenen Männern eine weitere Gefahr und Belastung für die Frauen und ihre Familien dar.
Zugang zur Lebenswelt von obdach- und wohnungslosen Frauen finden
Neben dem Sichtbarmachen von obdach- und wohnungslosen Frauen in unserer Gesellschaft verfolgten die Veranstaltenden der Diözesantagung das Ziel, den Teilnehmenden über Filme, Kunst, Lesung, Musik und Workshops Zugang zur Lebenswelt der Betroffenen zu verschaffen. In den Workshops wurde dann genauer hingesehen. Andrea Ehses, Referentin für Sucht und Wohnungslosenhilfe im DiCV Trier, sensibilisierte für das Thema Sucht am Beispiel von Alkohol. Was ist Sucht? Wie passiert es, dass aus Genuss, Gewohnheit um den Effekt willen wird? Und was heißt es sozial, wenn aus gesellschaftlich toleriertem Alkoholkonsum geächtetes Suchtverhalten wird. Wo gilt es das eigene Verhalten einmal selbstkritisch zu hinterfragen. Aber auch den Hauptrisikofaktoren für weibliche Wohnungs- und Obdachlosigkeit widmeten sich gleich zwei Workshops. Welche Rolle spielen psychische Erkrankungen? Kathleen Schade, SkF Trier, vermittelte den Teilnehmenden, dass das Wissen um psychische Erkrankungen in ihrer Arbeit unter anderem im Haltepunkt für Frauen in Trier eine große Rolle spielt und die Betroffenen vor allem ernst genommen werden müssen.
Unter dem Motto „Ladybag – Wenn das Leben in eine Tasche passt!“ befassten sich 60 haupt- und ehrenamtliche bei der diesjährigen Diözesantagung des SkF mit dem Thema weiblicher Obdach- und Wohnungslosigkeit.Foto: DiCV Trier / Kristina Kattler
Als ein weiterer Risikofaktor beschäftigte sich Regina Bies, SkF Koblenz, mit (sexualisierter) Gewalterfahrung. Jede dritte Frau in Deutschland hat bereits Gewalt in Beziehungen erfahren, Kinder sind immer mit betroffen, die Gefahr der Tötung steigt gerade in Trennungssituationen, nur drei erschreckende Fakten, die sie den Teilnehmenden als Denkanstoß mitgab. Frauen, die Gewalt erfahren haben, werden zudem häufig erneut Opfer von Gewalt. Ein Lösungsansatz sieht sie in einem flächendeckenden Angebot von Traumaambulanzen und Interventionsangeboten und rät den Teilnehmenden: "Wir können nicht viel falsch machen, wenn wir darüber reden. Wir machen aber was falsch, wenn wir nicht darüber reden." Berührungsängste abzubauen war auch das Ziel von Verena Buhl in ihrem Workshop zum Thema Umgang mit Menschen, die obdach-/wohnungslos sind. Dabei berichtete sie den Teilnehmenden von ihrer Erfahrung als Teil des Kältebusteams in Trier. Sie betonte dabei, dass Obdachlose als Teil unserer Gesellschaft wie jeder andere auch behandelt werden sollten.
In der Gesellschaft ist das Thema weibliche Obdach- und Wohnungslosigkeit trotz steigender Zahlen noch nicht angekommen. "Darum war es uns wichtig, unsere haupt- und ehrenamtlichen Mitarbeitende für das Thema weibliche Obdachlosigkeit zu sensibilisieren und weiterzubilden. Es ist ein Skandal, dass trotz steigender Zahl der betroffenen Frauen kaum eine öffentliche Debatte stattfindet. Dabei ist diese Entwicklung längst in unserem Arbeitsalltag in den verschiedenen Einrichtungen und Angeboten des SkF angekommen und braucht dringend einen gesellschaftlichen Diskurs", fordert die Diözesanreferentin des SkF Melanie Sachtleben.
Gemeinsam mit haupt- und ehrenamtlichen Mitarbeitenden das Bewusstsein für weibliche Obdach- und Wohnungslosigkeit schärfen, war das Ziel der zweitätigen Diözesantagung des SkF. Foto: DiCV Trier / Kristina Kattler