„Inge ist mehr als eine Mama für mich“
"Sie ist mehr als eine Mama für mich", sagt die Kamerunerin mit liebevollem und zugleich respektvollem Blick in Richtung der Saarbrückerin. Die gemeinsame Geschichte von Patin Inge Hudalla und Patenkind Marie Dorette erzählt von Geben und Nehmen, von Begabungen und Chancen. Einzeln hatte jede der Frauen schon ein bewegtes Leben hinter sich, als sie sich 2012 begegneten. Die Juristin Inge Hudalla hatte viele Jahre die Rechtsabteilung bei der Deutschen Bank Saar geleitet, war es gewohnt, "selber zu entscheiden". Und so entschied sie sich gegen eine weitere Karriere bei der Bank in Frankfurt und für ein Übersetzer-Studium in Saarbrücken. Mit 57 Jahren legte sie ihr Dolmetscherdiplom für Französisch und Italienisch ab - und suchte eine ausfüllende, sinnvolle Betätigung.
"Bei einem Praktikum in einem Übersetzerbüro habe ich gesehen, welche Schwierigkeiten vor allem Ausländer beim Ausfüllen von Formularen haben. Und sie werden wenig einfühlsam behandelt", erinnert Hudalla. Seit 2006, also lange vor der Flüchtlingswelle, gab sie ehrenamtlich einmal wöchentlich Deutschunterricht für Kinder in einer Schule, um den jungen Menschen möglichst früh und intensiv bei der Verbesserung der Verständigung zu helfen. Als das Schulprojekt auslief, fand Inge Hudalla beim Caritasverband (CV) Saarbrücken und Umgebung ein neues Betätigungsfeld: Im Rahmen der ‚Frühen Hilfen‘ gibt es das Projekt ‚Familienpatenschaften‘.
"Orientiert an den individuellen Bedürfnisse von Familien unterstützen die ehrenamtlichen Paten mit ihren Begabungen und Möglichkeiten", fasst Jutta Anton-Wachall, Leiterin der sozialen Dienste beim CV, die Zielsetzung zusammen. Für Inge Hudalla hieß das, die eigenen beruflichen Kenntnisse und Fähigkeiten zur Verfügung zu stellen und einem Menschen Qualifikationen zu vermitteln, damit er in einen Beruf integriert werden kann. "Wäre es um Hilfe bei der Haushaltsführung gegangen, hätte ich passen müssen. Das ist nicht meine Stärke", gesteht die Familienpatin lachend.
So wie sie engagieren sich derzeit rund 20 Frauen ehrenamtlich in der Familienhilfe der Caritas Saarbrücken. Zirka 150 Vermittlungen gab es seit 2009. "Das ist zwar kein zahlenstarkes, dafür aber ein beziehungsreiches und nachhaltiges Projekt", legt Margarete Sztek-Heinzel, Ehrenamtskoordinatorin bei der Caritas, dar.
Gemeinsamer Blick in die Unterlagen fürs Bewerbungsgespräch: Wenn Patenkind Marie Dorette (links) Hilfe braucht, ist Patin Inge Hudalla da.Foto: Christine Cüppers
Hilfe in verzweifelter Lage
Ihr derzeitiges Patenkind Marie Dorette traf die Patin Hudalla vor vier Jahren zum ersten Mal. In sehr verzweifeltem Zustand. 2006 war sie zum Studieren nach Deutschland gekommen, erzählt die Kamerunerin, die ihre Pläne nach der Geburt von zwei Kindern aufgeben musste. "Nach der Elternzeit habe ich selber versucht, eine Ausbildungsstelle zur Industriekauffrau zu finden." Ein fast aussichtsloses Unterfangen für die zweifache Mutter kleiner Kinder, die zudem kaum der deutschen Sprache mächtig war und auch immer tiefer in finanzielle Nöte geriet. Über den Sozialdienst katholischer Frauen und durch Vermittlung von Margarete Sztek-Heinzel traf die verzweifelte junge Frau schließlich auf die temperamentvolle, engagierte Juristin.
"Wir schaffen das!", sei ihre Devise gewesen, berichtet Inge Hudalla, die mit dem Patenkind einen Bedarfsplan erstellte. Ziel der gemeinsamen Bemühungen war ein Praktikumsplatz als Industriekauffrau für Marie Dorette. Daneben sollten ihr Deutsch verbessert und notwendige Behördengänge geregelt werden. Nicht sehr ermutigend waren die Reaktionen auf die ersten Bewerbungsbriefe, weil in den Firmen niemand eine Praktikantin wollte, erinnern sich die beiden. Inge Hudalla ist aber kein Typ fürs Aufgeben, und so nutzte sie ihre guten Kontakte. Mit Erfolg: bei einem großen Arzneimittel-Hersteller erhielt Marie Dorette ihre Chance, machte eine duale Ausbildung und legte im Sommer 2015 erfolgreich ihre Prüfung ab.
"Vor dem mündlichen Termin haben wir zusammen die Sprachkenntnisse vertieft", erzählt die Patin und lacht. Ihr Schützling habe sich total gewundert, dass die Frage-Antwort-Übungen nahezu identisch mit dem tatsächlichen Verlauf der Prüfung waren. "Da hat sie halt von meinen Erfahrungen aus der Abteilungsleitung profitiert", erläutert Inge Hudalla.
Bei der Suche nach einem Arbeitsplatz stellte Marie Dorette anschließend fest, dass ihr für eine gute Stelle noch Kenntnisse fehlten. So entschied sie sich, unterstützt vom Jobcenter, für eine Weiterbildung zur Einkaufs- und Logistik-Fachwirtin. Die beendete sie im Juli 2016 erfolgreich.
Gewisse Strenge auch mal nötig
"Jetzt braucht sie dringend eine Stelle", wirft Patin Hudalla energisch ein und erklärt auch gleich, warum sie an diesem Punkt so streng werden muss: "Marie Dorette ist 40 und hat bisher zwar gute Qualifikation, aber keine Berufserfahrung. Da wird es langsam eng." Ihr Schützling weiß um die Schwierigkeiten. Sie schreibe ständig Bewerbungen, habe einige Vorstellungsgespräche. Beide Frauen geben die Hoffnung nicht auf, sind sicher, dass Marie Dorette auch diesen Schritt in die Selbstständigkeit schafft.
Die Kontakte zwischen Patin und Patenkind sind in letzter Zeit seltener geworden. "Es steht nichts Aktuelles an, da bin ich nicht so kontinuierlich gefordert", erläutert Inge Hudalla. Aber: "Wenn Marie Dorette anruft und sobald es brennt, bin ich zur Stelle und kümmere mich." Oft habe sie die junge Frau aus Kamerun bewundert für ihr Organisationstalent und die Beharrlichkeit, ihr Ziel auch in schwierigen Zeiten zu verfolgen, verrät die Familienpatin. Sie sei dankbar, "seelischer Kummerkasten" für ihr Patenkind sein zu können und ihm darüber hinaus zu Lebenstauglichkeit verholfen zu haben. Marie Dorette lächelt etwas verlegen. Sie weiß um Hilfe und Unterstützung, die sie durch ihre Patin erfahren hat und auch weiter erfahren kann. Übereinstimmend stellen die beiden Frauen fest, dass sie sich in ihrer Familienpatenschaft gegenseitig bereichert und beschenkt haben.