Mann der ersten Stunde und Brückenbauer
Professor em. Dr. Hans Braun (rechts) mit Weihbischof Franz Josef Gebert.
Sie können auf 30 Jahre Mitgestaltung der Caritasarbeit zurück schauen. Was hat sich in der Arbeit im Laufe der Zeit verändert?
Wie in anderen Bereichen unserer Gesellschaft hat auch auf dem Gebiet der sozialen Dienstleistungen die Regelungsdichte zugenommen. Qualitätssicherung, Dokumentationsauflagen und Evaluationsverpflichtungen sind heute Standard. Das ist gut und richtig und entspricht überdies der gesellschaftlichen Verantwortung eines Wohlfahrtsverbandes. Allerdings darf dabei nicht aus dem Blick geraten, dass die Adressaten unseres Tuns nicht nur "Kunden" sind, wie oftmals gesagt wird, sondern Menschen, die in ihrer Individualität wahrgenommen und angesprochen werden wollen.
Welche Rolle spielt Ihrer Meinung nach die Caritas in der Zukunft der neuen Pfarreien unseres Bistums?
Die Bedeutung der Caritas wird jedenfalls nicht abnehmen, auch wenn sich da oder dort Organisationsfragen stellen mögen. Angesichts meiner Erfahrung im Diözesancaritasverband bin ich optimistisch, was die "Problemlösungskapazität" der haupt- und ehrenamtlichen Mitarbeiterinnen und Mitarbeiter anbelangt. Wichtig wird sein, dass bewährte lokale Strukturen ehrenamtlichen Engagements nicht nur erhalten bleiben, sondern gestärkt werden.
Welche sozialen Probleme unserer Gesellschaft sollte die Caritas besonders engagiert lösen?
"Lösen" wird die Caritas die heutigen sozialen Probleme sicherlich nicht, wohl aber kann sie in Zusammenarbeit mit anderen Verbänden und dem Staat an Lösungsversuchen mitwirken. Aus meiner Sicht sind wir mit drei großen sozialen Problemen konfrontiert: Alterung der Gesellschaft aufgrund gestiegener Lebenserwartung und abnehmender Geburtenzahlen, Zuwanderung und zunehmende Enthemmung im Umgang miteinander. Auch wenn Alter nicht notwendigerweise mit Hilfebedürftigkeit verbunden ist, so gibt es doch einen wachsender Bedarf an ambulanter und stationärer Altenhilfe. Weiterhin geht es darum, eine vielleicht unangenehme Wahrheit zu akzeptieren: Um das System der sozialen Sicherung im Alter aufrechterhalten zu können, werden die Menschen länger arbeiten müssen. Wer sich der Opposition gegen diese Einsicht anschließt, handelt unverantwortlich. Für eine gewisse Zeit können die Folgen der Überalterung durch Zuwanderung abgemildert werden. Die setzt allerdings voraus, dass die Menschen, die zu uns kommen, bereit sind, sich zu integrieren und bei der Integration ausreichend unterstützt werden. Erschwert wird die Integration allerdings nicht zuletzt durch die Enthemmung des öffentlichen Diskurses über den Umgang mit Migranten. Diese Verrohung, die vor allem durch das Internet gefördert wird, ist indessen nicht auf das Thema der Zuwanderung beschränkt. In vielen Bereichen sind heute Herabsetzung, Demütigung und Hass bis hin zu Todesdrohungen an der Tagesordnung. Betroffen sind dabei nicht zuletzt auch Adressaten caritativer Arbeit. Wenn es nicht gelingt, dieser Entwicklung entgegenzuwirken, wobei juristische Mittel allein nicht ausreichen, dann wird die Lebensqualität in unserer Gesellschaft erheblich beeinträchtigt.